Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung sind steuerlich als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG absetzbar, wenn diese nicht von den Versicherungen übernommen werden. Die Aufwendungen wirken sich also nach Abzug einer zumutbaren Eigenbelastung steuerlich aus. Für die Anerkennung der Kosten spielt es keine Rolle, ob die Ehefrau empfängnisunfähig oder der Ehemann zeugungsunfähig ist. Auch kommt es nach neuerer Rechtsprechung nicht darauf an, ob die Frau mit einem männlichen Partner oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt.
Umstritten sind aber drei Fragen:
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- Kann auch eine alleinstehende Frau, die nicht in einer festen Beziehung lebt, die Kosten einer künstlichen Befruchtung steuerlich geltend machen?
- Sind die Kosten einer künstlichen Befruchtung auch bei einer Frau ab dem 40. Lebensjahr absetzbar?
- Können Aufwendungen für eine Behandlung im Ausland abgezogen werden, die in Deutschland nicht zulässig
wäre?
Zur Frage 1: Ist der Familienstand entscheidend?
Vor einigen Jahren hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass auch unverheiratete empfängnisunfähige Frauen die Kosten für eine In-vitro-Fertilisation als außergewöhnliche Belastung absetzen dürfen. Zwei Voraussetzungen müssen aber vorliegen: Die Frau muss in einer festen Partnerschaft leben. Und die Behandlung muss in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen werden (BFH-Urteile vom 5.10.2017, VI R 47/15, und
vom 21.2.2008, III R 30/07).
Aktuell hat das Finanzgericht Münster die Rechtsprechung weiterentwickelt und entschieden, dass die Kosten für die künstliche Befruchtung einer unverheirateten Frau auch dann zu außergewöhnlichen Belastungen führen, wenn die Frau nicht in einer festen Beziehung lebt (Urteil vom 24.6.2020, 1 K 3722/18 E).
Der Fall: Bei der Klägerin wurde eine krankheitsbedingte Fertilitätsstörung festgestellt. Zu ihrem Beziehungsstatus hat sie aus persönlichen Gründen keine Angaben gemacht. Im Streitjahr 2017 war sie 40 Jahre alt. In ihrer Einkommensteuererklärung machte sie Kosten für eine Kinderwunschbehandlung in Höhe von ca. 12.000 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend. Hierin enthalten waren auch Aufwendungen für eine Samenspende. Das Finanzamt lehnte den Abzug der Kosten mit der Begründung ab, dass solche Kosten nur bei verheirateten oder in einer festen Beziehung lebenden Frauen abzugsfähig seien.
Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Das Gericht hat die gesamten Aufwendungen für die Kinderwunschbehandlung als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Die Unfruchtbarkeit der Klägerin stelle einen Krankheitszustand dar und sei nicht auf ihr Alter zurückzuführen. In der heutigen Zeit seien Schwangerschaften von Frauen über 40 nicht ungewöhnlich. Aus den anzuerkennenden Kosten seien die Aufwendungen für die Samenspende nicht herauszurechnen, da diese mit der Behandlung eine untrennbare Einheit bildeten.
Der Familienstand der Klägerin sei unerheblich, da die Behandlung in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen worden sei. Jedenfalls in dem Bundesland, in dem die Klägerin behandelt wurde, seien künstliche Befruchtungen alleinstehender Frauen nicht durch diese Richtlinien ausgeschlossen.
Zudem werde die Zwangslage unfruchtbarer Frauen durch die Krankheit hervorgerufen, nicht durch eine Ehe oder eine Partnerschaft. Schließlich sei erwiesen, dass Kinder alleinerziehender Eltern in ihrer Entwicklung nicht beeinträchtigt seien.
Zur Frage 2: Ist das Alter entscheidend?
Zu der Frage, ob die Kosten einer künstlichen Befruchtung auch bei einer Frau ab dem 40. Lebensjahr absetzbar sind, gibt es unterschiedliche Auffassungen der Finanzgerichte: Neben dem FG Münster (siehe oben) hat auch das Niedersächsische FG die Kosten anerkannt. Nach Auffassung der Richter des Niedersächsischen FG entfällt die Bewertung der Empfängnisunfähigkeit als Krankheit nicht aufgrund des Alters. Jedenfalls könne eine Fertilitätsstörung einer Frau im Alter von 44 Jahren weder aus medizinischen Gründen noch unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Auffassung als unbeachtlich eingestuft werden (Niedersächsisches FG vom 20.10.2009, 15 K 495/08).
Auch das FG München hat die Kosten in einem ähnlichen Fall anerkannt (FG München vom 20.5.2009, 10 K 2156/08). Voraussetzung ist natürlich, dass kein Erstattungsanspruch gegenüber der Krankenversicherung besteht.
Das FG Berlin-Brandenburg hingegen hat bei einer 41-jährigen Frau Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung in Höhe von 12.500 EUR nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Begründet wird die Ablehnung damit, dass bei einem Alter ab 40 Jahren die Fertilität einer Frau nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen im Durchschnitt bereits erheblich gegenüber derjenigen jüngerer Frauen herabgesetzt sei, ohne dass man insoweit von einer „Krankheit“ sprechen könnte. Lediglich organische Ursachen für die Kinderlosigkeit hätten einen Abzug der Kosten rechtfertigen können (FG Berlin-Brandenburg vom 18.10.2018, 9 K 11390/16).
Im Oktober 2019 hat das FG München abermals entschieden, dass das Alter der Frau keinen Umstand darstellt, der einer Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen entgegenstehen würde. Erforderlich für den Abzug als außergewöhnliche Belastung sei zwar, dass die künstliche Befruchtung mit dem Ziel erfolgt, die auf einer „Krankheit” beruhende Kinderlosigkeit zu beheben. Als „Krankheit“ wird aber die Empfängnisunfähigkeit der Frau oder die Zeugungsunfähigkeit des Mannes verstanden. Der Auffassung des FG Berlin-Brandenburg, dass eine „Krankheit“ in diesem Sinne eine organische Ursache haben muss, folgen die Münchner Finanzrichter ausdrücklich nicht (FG München, Urteil vom 8.10.2019, 6 K 1471/17).
Zur Frage 3: Sind Kosten für eine Behandlung im Ausland abziehbar?
Aktuell hat das FG München mit dem bereits zitierten Urteil vom 8.10.2019 entschieden, dass die Kosten für eine reproduktionsmedizinische Behandlung im Ausland mit Eizellen der Schwester nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.
Der Fall: Die Klägerin hatte sich nach erfolglosen Behandlungen in Deutschland zu weiteren Behandlungen nach Bregenz und Brüssel begeben, die zu einer Schwangerschaft mit Zwillingen führten. Die Schwangerschaft ist auf eine Eizellenspende der Schwester der Klägerin zurückzuführen. Die Kosten von rund 20.000 EUR sind jedoch weder vom Finanzamt noch vom Finanzgericht zum Abzug zugelassen worden.
Begründung: Nach § 1 des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz) darf in Deutschland eine Eizellenspende, im Gegensatz zu einer Fremdsamenspende, nicht vorgenommen werden. Das heißt, in Deutschland war die reproduktionsmedizinische Behandlung der Klägerin mit Eizellen ihrer Schwester nicht erlaubt.
Für die Verneinung des steuerlichen Abzugs sei es unerheblich, dass die Eizellenspenden nicht kommerziell waren und die Eizellenspende im Land der durchgeführten Übertragung zulässig war. Eine Ungleichbehandlung zur zulässigen Samenspende liege nicht vor. Nach der Begründung des Embryonenschutzgesetzes aus dem Jahr 1989 (BT-Drucksache 11/5460) solle mit dem Verbot der Eizellspende eine Aufspaltung der Mutterschaft in eine genetische Mutter – die Eizellspenderin – und eine austragende Mutter verhindert werden.
Beim Bundesfinanzhof liegen mittlerweile mehrere Revisionsverfahren zu den Fragen vor, wann und in welcher Höhe Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung abziehbar sind. Auch das Urteil des FG München vom 8.10.2019 ist noch nicht rechtskräftig. Die Aktenzeichen der derzeit bekannt gewordenen Revisionsverfahren lauten: VI R 34/19, VI R 35/19, VI R 36/19 und VI R 2/17. In dem Verfahren des FG Berlin-Brandenburg ist die Revision ebenfalls zugelassen worden, diese ist aber – soweit ersichtlich – nicht eingelegt worden.
Auch das FG Münster hat zu seinem eingangs geschilderten Urteil die Revision zugelassen. Ein Aktenzeichen beim BFH ist indes noch nicht bekannt. Jedenfalls sollten Betroffene in ähnlichen Fällen gegen ablehnende Steuerbescheide Einspruch einlegen und ein Ruhen
ihres eigenen Falles beantragen.