Kindergeld und Sechs-Monats-Frist: Hoffnung für Eltern

Wird Kindergeld, aus welchen Gründen auch immer, zu spät beantragt, soll das Kindergeld nur für die letzten sechs Monate gezahlt werden (siehe dazu auch die nachfolgende Meldung). Es soll vermieden werden, dass Kindergeld mitunter für mehrere Jahre nachzuzahlen ist. Die Ausschlussfrist von sechs Monaten ist zum 1.1.2018 ins Kindergeldrecht eingeführt worden und bereitet seitdem nicht nur den betroffenen Eltern, sondern allen Experten Kopfzerbrechen, da sie verfahrensrechtlich im hohen Maße verunglückt ist. Doch nun besteht – in Altfällen – Hoffnung für viele Eltern, die die Sechs-Monats-Frist verpasst haben, denn der Bundesfinanzhof hat in einem bedeutsamen Verfahren den Familienkassen eine herbe Niederlage beigebracht. Worum geht es?

In § 66 Abs. 3 EStG hieß es bis Mitte 2019: „Das Kindergeld wird rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.“

Nun gab es reichlich Fälle, in denen Kindergeld zum Beispiel im Januar 2018 rückwirkend für das ganze Jahr 2017 festgesetzt, aber eben – wegen der Sechs-Monats-Frist – nur für sechs Monate ausgezahlt wurde. Die Finanzverwaltung und die Familienkassen haben die Vorschrift der Sechs-Monats-Frist jedenfalls in diesem Sinne ausgelegt.

Doch so geht es nicht! Der Bundesfinanzhof hat dem Fiskus und vor allem den Familienkassen die Leviten gelesen: Wenn Kindergeld festgesetzt wird, ist es auch auszuzahlen. Die Familienkassen hätten das Kindergeld halt nur für sechs Monate festsetzen dürfen. Wie gesagt: Das ist hohes Verfahrensrecht und es bedurfte des obersten deutschen Steuergerichts, um die Sache zu klären (BFH-Urteil vom 19.2.2020, III R 66/18).

Der Fall: Der Kläger ist der Vater einer im Februar 1997 geborenen Tochter. In einem bereits 2015 gestellten Antrag gab der Kläger an, dass seine Tochter ab September 2015 eine Ausbildung zur Erzieherin aufnehmen wolle. Die Familienkasse setzte daraufhin zunächst Kindergeld fest, hob die Kindergeldfestsetzung aber im Juli 2015 mangels Vorlage eines Ausbildungsnachweises wieder auf.

Mit einem dann erst im April 2018 bei der Familienkasse eingegangenen Antrag begehrte der Kläger erneut Kindergeld, dieses Mal sogar bereits für den Zeitraum ab August 2015. Die Familienkasse setzte in einem Bescheid vom April 2018 laufendes Kindergeld ab dem Monat August 2015 fest. Die Nachzahlung von Kindergeld beschränkte sie jedoch auf den Zeitraum von Oktober 2017 bis April 2018 (= sechs Monate). Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage statt und erkannte einen Nachzahlungsanspruch auch für die Monate August 2015 bis September 2017 an.

 Der BFH stimmt der Vorinstanz zu. Da die Familienkasse im Streitfall das Kindergeld über den Sechs-Monats-Zeitraum hinaus rückwirkend festgesetzt hatte, hielt sie der BFH auch für verpflichtet, das Kindergeld in diesem Umfang an den Kläger auszuzahlen.

Hinweis

Seit dem 18.7.2019 sind die rückwirkende Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes klarer geregelt. § 66 Abs. 3 EStG wurde aufgehoben, dafür heißt es nun in § 70 Abs. EStG: „Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.“ Auf den ersten Blick scheint die Vorschrift der alten Regelung zu entsprechen, doch die Betonung liegt auf dem Wort „festgesetzten“.

Nun wird das Kindergeld also, selbst wenn es für ein ganzes Jahr rückwirkend festgesetzt wird, tatsächlich nur für die letzten sechs Monate ausgezahlt. Das macht die Sache natürlich nicht besser, denn letzten des gehen Eltern leer aus, die den Antrag auf Kindergeld verspätet gestellt haben. Immerhin werden nun aber wenigstens die kindbedingten Vergünstigungen in der Steuererklärung gewährt (siehe dazu die nachfolgende Meldung, die auf weitere Zweifelsfragen aufmerksam macht).

 

Steuererklaerung-Polizei.de

Das Kindergeldrecht sollte so aufgebaut sein, dass es der Normalbürger versteht. Wo sind wir nur hingekommen, wenn selbst Experten, das heißt hochrangige Juristen des Bundesfinanzministeriums, die sogar an der Konzeption der Vorschriften mitgewirkt haben, ihre eigenen Formulierungen zum Kindergeld nicht mehr verstehen und diese zudem falsch anwenden? Wie sollen Eltern dann noch zu ihrem Recht kommen? Nicht jeder hat die Möglichkeit und schon gar nicht die Lust, bis vor den Bundesfinanzhof zu ziehen. Es ist
ein einziges Trauerspiel – nicht nur mit der Sechs-Monats-Frist.

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