Aktienverluste: Neue Falle bei ausgebuchten oder wertlosen Papieren

Wer Aktienverluste realisieren muss, ist darüber natürlich nicht erfreut. Der Ärger potenziert sich aber noch, wenn der Anleger versucht, das Dickicht an steuerlichen Vorschriften zur Verrechnung von Aktienverlusten zu verstehen. Gesetzgeber und Finanzverwaltung haben es fertiggebracht, ein enormes Chaos anzurichten. Leider wird dieses Chaos aktuell noch vergrößert, denn das Bundesfinanzministerium hat soeben ein neues Schreiben mit der Überschrift „Einzelfragen zur Abgeltungsteuer“ veröffentlicht.

Bedauerlicherweise enthält das BMF-Schreiben in Bezug auf die Verlustverrechnung – wieder einmal – eine echte Falle. Inhaber von Aktien sollten diese Falle unbedingt kennen (BMF-Schreiben vom 19.5.2022, IV C 1 -S 2252/19/10003 :009). Doch zunächst zum Hintergrund:

Streitpunkt Nummer 1:

Verluste aus dem Verkauf von Aktien dürfen nicht mit allen positiven Kapitalerträgen, zum Beispiel mit Zins- und Dividendeneinkünften, und schon gar nicht mit Gewinnen aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden, sondern nur mit Gewinnen aus dem Verkauf von Aktien, und zwar im selben Jahr und darüber hinaus in den folgenden Jahren (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG). Dies gilt für Aktien, die seit dem 1.1.2009 gekauft wurden (§ 52 Abs. 28 Satz 11 EStG).

Zwar hat der Bundesfinanzhof Zweifel bekommen, ob es verfassungsgemäß ist, dass Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen. Zur Klärung hat der BFH die Frage daher dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt (BFH-Beschluss vom 17.11.2020, VIII R 11/18). Doch bis zu einer Entscheidung in Karlsruhe können noch einige Jahre vergehen.

Streitpunkt Nummer 2:

Die Finanzverwaltung wollte Verluste aus wertlosen Aktien bei der reinen Ausbuchung aus dem Depot jahrelang nicht anerkennen. Und sie hat sich auch geweigert, Verluste aus Veräußerungen an-zuerkennen, wenn die Veräußerungskosten den Erlös überstiegen, wenn also letztlich – fast – wertlose Aktien verkauft wurden. Doch sie hat vom Bundesfinanzhof immer wieder Prügel bezogen und letztlich hat der Gesetzgeber – wenn auch halbherzig – gehandelt: Verluste durch Ausbuchung oder Veräußerung wertlos gewordener Aktien (und anderer Wertpapiere) dürfen seit dem 1.1.2020 mit Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden.

Die Beschränkung der Verlustverrechnung auf Aktiengewinne gilt hier nicht. ABER: Es gibt eine betragsmäßige Grenze. Die Verluste können nämlich nur mit Einkünften aus Kapitalvermögen bis zur Höhe von 20.000 Euro ausgeglichen werden. Nicht verrechnete Verluste sind dann auf Folgejahre vorzutragen (§ 20 Abs. 6 Satz 6 EStG). Die Neuregelung gilt für Verluste, die seit dem 1.1.2020 entstehen. Diese Regelung, das heißt die Begrenzung der Verlustverrechnung auf lediglich 20.000 Euro, ist zwar umstritten. Allerdings gibt es hierzu – soweit ersichtlich – noch kein Verfahren vor einem Finanzgericht.

Wie können Anleger Aktienverluste geltend machen?

Nun kommt die große Frage: Wie können Anleger die Aktienverluste eigentlich steuerlich geltend machen? Dazu muss leider wieder etwas ausgeholt werden:

  • Banken nehmen eine Verrechnung von Verlusten und negativen Einnahmen mit positiven Kapitalerträgen bereits während des Jahres vor. Hierzu bilden sie für jeden Anleger einen sogenannten virtuellen „Verlustverrechnungstopf„. Bis zur Höhe der Verluste wird dann von positiven Kapitalerträgen keine Abgeltungsteuer einbehalten oder früher einbehaltene Steuer wieder erstattet.
  • Genau genommen bilden die Banken sogar zwei Verlustverrechnungstöpfe, und zwar einen allgemeinen Verlustverrechnungstopf und einen Aktien-Verlustverrechnungstopf speziell für Verluste und Gewinne aus Aktiengeschäften. Falls nun am Jahresende der Saldo in einem oder in beiden Verlustverrechnungstöpfen negativ ist, gibt es zwei Möglichkeiten (§ 43a Abs. 3 Satz 4 und 5 EStG):
  • Die Bank kann den nicht ausgeglichenen Verlust auf das nächste Jahr übertragen, um künftig fällige Zins- oder Dividendengutschriften oder Veräußerungsgewinne ohne Steuerabzug auszahlen zu können, sog. Verlustübertrag.
  • Stattdessen können Sie auch beantragen, dass die Bank Ihnen eine Bescheinigung über den verbleibenden Verlust ausstellt. Dann wird der Verlustverrechnungstopf auf Null gestellt. Mit dieser Verlustbescheinigung können Sie den Verlustbetrag dann in Ihrer Steuererklärung geltend machen und ggf. mit positiven Kapitalerträgen anderer Bankinstitute verrechnen lassen.
  • Die Verlustbescheinigung müssen Sie jeweils zum 15. Dezember des laufenden Jahres bei der Bank beantragen. Die darin bescheinigten noch nicht ausgeglichenen Verluste übernehmen Sie in die „Anlage KAP„, und zwar getrennt nach Verlusten aus Aktiengeschäften und Verlusten aus anderen Anlagen. Geben Sie auch die bescheinigten Gewinne an. Die sonstigen Verluste können mit allen Arten von Kapitalerträgen, Verluste aus Aktienverkäufen hingegen nur mit Gewinnen aus Aktienverkäufen verrechnet werden.

Die Steuerfallen

Nun kommen wir zu den großen Fallen, die Anleger unbedingt kennen sollten, damit ihre Aktienverluste steuerlich nicht untergehen:

Falle Nummer 1:

Hier geht es zunächst um den eingangs erwähnten Streitpunkt Nummer 1. Das Bundesfinanzministerium verfügt zwar, dass Steuerbescheide, in denen der Verlustausgleich bei Aktienveräußerungen streitig ist, in dem betreffenden Punkt vorläufig ergehen. Kapitalanleger müssen also keinen Einspruch gegen die entsprechenden Steuerbescheide einlegen (BMF-Schreiben vom 31.1.2022, V A 3-S 0338/19/10006 :001).

Doch Vorsicht: Bevor Steuerbescheide wegen der Verlustverrechnung bei Aktien überhaupt vorläufig ergehen können, müssen Sie zu den Aktienverlusten eine Verlustbescheinigung Ihrer Bank haben. Diese können Sie aber – wie erwähnt – nur jeweils bis zum 15. Dezember für das laufende Jahr beantragen (§ 43a Abs. 3 Sätze 4 und 5 EStG). Anschließend müssen Sie die Anlage KAP zur Steuererklärung ausfüllen. Die nicht ausgeglichenen Verluste aus der Veräußerung von Aktien müssen Sie dazu in Zeile 13 der Anlage KAP eintragen.

Beantragen Sie zudem eine „Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge“ (Zeile 5) und gegebenenfalls die „Günstiger-prüfung für sämtliche Kapitalerträge“ (Zeile 4). Prüfen Sie anschließend in Ihrem Steuerbescheid, ob dieser tat-sächlich vorläufig ergangen ist wegen der „Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste nach § 20 Absatz 6 Satz 4 EStG (§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG a.F.)“.

Wichtig: Bitte beachten Sie, dass der Steuerbescheid tatsächlich nur in diesem bestimmten Punkt vorläufig ergeht, soweit er die Besteuerung Ihrer Kapitaleinkünfte betrifft. Und es geht auch nur um die Frage der Verfassungsmäßigkeit. Sind Sie der Meinung, dass auch andere Fragen rund um die Kapitaleinkünfte streitig sind, so müssen Sie dennoch Einspruch einlegen.

Falle Nummer 2:

Geht es um wertlos gewordene Aktien, also um einen Fall des Streitpunkts Nummer 2, so nimmt die Bank keine Verlustverrechnung vor. Sie stellt Verluste also nicht in den Verlusttopf ein! Das gilt selbst dann, wenn Sie nur über ein einziges Depot verfügen, über das Sie alle Aktientransaktionen abwickeln. Sie müssen die Verluste aus wertlos gewordenen Aktien also zwingend in die Steuererklärung übernehmen!

Das BMF verfügt dazu: „Verluste, auf die die Verlustverrechnungsbeschränkungen des § 20 Absatz 6 Satz 5 und 6 EStG Anwendung finden, dürfen nicht in den Verlusttopf für sonstige Verluste oder den besonderen Verlusttopf für Aktienverluste eingestellt werden. Der Verlustausgleich findet ausschließlich im Rahmen der Veranlagung statt:

Immerhin: Für die Bescheinigung der entsprechenden Verluste benötigen Sie keinen Antrag bei Ihrer Bank und Sie müssen nicht die Frist „15. Dezember“ des laufenden Jahres“ einhalten.

Steuererklaerung-Polizei.de

Einige Anleger verwenden viel Zeit und mitunter auch viel Geld für einen Rechtsstreit mit der depotführenden Bank, weil sie davon ausgehen oder ausgegangen sind, dass das Institut einen Fehler bei der Verlustverrechnung oder beim Kapitalertragssteuerabzug begangen hat. Zuweilen ist das auch durchaus richtig (siehe z.B. OLG Hamm, Urteil vom 23.10.2018, Az. 34 U 10/18). Doch in aller Regel ist die Mühe vergebens. Machen Sie Verluste aus wertlosen Aktien im Zweifel daher immer in Ihrer Einkommensteuererklärung geltend oder lassen Sie Steuerbescheide zumindest nicht bestandskräftig werden, bis die Sache mit der Bank geklärt ist.

Das Gleiche gilt, wenn Sie der Meinung sind, dass der Kapitalertragssteuerabzug zu hoch war. Üblicherweise ist es sinnvoller, sich mit dem Finanzamt als mit der Bank zu streiten. Und beachten Sie: Die Banken sind nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG verpflichtet, die Auffassung der Finanzverwaltung beim Kapitalertragssteuerabzug und der Bildung von „Verlusttöpfen“ anzuwenden – und zwar auf Gedeih und Verderb. Sie dürfen von den Anweisungen des Bundesfinanzministeriums nicht abweichen – selbst wenn diese noch so absurd und vom Bundesfinanzhof mehrfach bemängelt worden sind.

Steuererklaerung-Polizei.de

In der obigen Information ging es ausschließlich um Aktienverluste. Tatsächlich gelten bestimmte Einschränkungen auch bei Verlusten aus Termingeschäften, insbesondere aus dem Verfall von Optionen und Glattstellungsgeschäften. Entsprechende Verluste können nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Einkünften aus Stillhalterprämien ausgeglichen werden, soweit die Verluste nach dem 31. Dezember 2020 entstanden sind. Die Verlustverrechnung ist beschränkt auf 20.000 Euro. Die Verluste dürfen nicht in den Verlusttopf für sonstige Verluste oder den besonderen Verlusttopf für Aktienverluste eingestellt werden. Der Verlustausgleich findet ausschließlich im Rahmen der Veranlagung statt! Geben Sie die Verluste also in Ihrer Steuererklärung an.

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